Friday, June 8, 2012

[In German] Greece is losing €45 billion a year to tax evasion - @weltonline

Athens oberster Steuerfahnder Nikos Lekkas holt eine Milliarde nach der anderen aus den Steuerverstecken Griechenlands hervor. Es scheint klar: Wenn die Griechen ihre Steuern zahlten, wäre alles gut. Von Boris Kálnoky und Dimitra Moutsouri

Ende Mai sorgte eine kurze Bemerkung von Christine Lagarde für Furore in Griechenland: Die Griechen müssten eigentlich nur ihre Steuern zahlen, sagte die Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF), dann wäre die Krise schon erledigt. Alle Politiker des stolzen Hellas spuckten daraufhin Gift und Galle, allen voran der als Ex-Finanzminister besonders betroffene Sozialistenchef Evangelos Venizelos. Frau Lagarde, sagte er, beleidige die Griechen.

Jetzt erhält die IWF-Chefin jedoch Schützenhilfe von dem Griechen, der es am besten wissen muss: Nikos Lekkas, Chef der griechischen Steuerfahndungsbehörde SDOE. "Ich stimme Frau Lagarde vollkommen zu!", sagt er im Gespräch mit "Welt Online", so leidenschaftlich, dass das Ausrufezeichen hörbar ist.

"Die Steuerflucht in Griechenland erreicht 12 bis 15 Prozent des Bruttosozialprodukts. Das sind 40 bis 45 Milliarden Euro im Jahr. Wenn wir davon auch nur die Hälfte eintreiben könnten, wäre Griechenlands Problem gelöst." Das verlange natürlich politischen Willen. "Unsere Politiker haben begonnen, das zu verstehen", sagt Lekkas.

Seit 2010 ist der Chef-Fahnder im Amt. Erst seit jenem Jahr, so sagt er, beginne man in Athen, Steuerbetrug nicht mehr als Sport zu betrachten, sondern als Verbrechen. "Die nötigen Gesetze haben wir schon seit 1996, sie wurden nur nie angewendet", sagt er. Dabei hänge das Schicksal Griechenlands davon ab, Steuerbetrug und die Unberührbarkeit der Eliten in den Griff zu bekommen.

Wenn die "systemische Korruption, die die ganze Gesellschaft durchdringt" nicht aufhöre, und vor allem wenn die Eliten weiterhin ungestraft blieben, während das Volk geschröpft werde, dann "wird es eine soziale Explosion geben".

Mai 2012 ist der erfolgreichste Monat

Lekkas wirkt dynamisch, glaubwürdig, ein Macher. Auf seinem Schreibtisch hat er ein kleines Schild mit einem Zitat aufgestellt: "Ich will einen Spalt öffnen, in der Hoffnung, eine große Tür aufzustoßen." Der Spruch stammt von einem Politiker aus der ersten Generation der sozialistischen Pasok-Partei, die für viele Missstände verantwortlich ist.

Lekkas zählt auf, was die SDOE bisher erreicht hat: "2009 konnten wir geschuldete Steuern und Strafgelder in Höhe von 1,7 Milliarden ans Finanzamt melden. 2010 waren es schon 4,1 Milliarden, und für 2011 sogar 4,5 Milliarden. Für Januar bis Mai 2012 stehen wir bei 1,5 Milliarden." Mai 2012 ist der erfolgreichste Monat seit dem Bestehen der Behörde, sagt Lekkas: 500 Millionen waren es.

Mehr als elf Milliarden Euro seit 2009 – das klingt so lange überwältigend, bis Lekkas erzählt, wie es weitergeht. "Wir geben diese Angaben an die Steuerbehörde weiter. Was tatsächlich in die Kassen kommt, hängt davon ab, welche Bußgelder das Amt verhängt und wie es sich mit den Betroffenen einigt, und was davon eingetrieben werden kann."

Die Banken kooperieren nicht

Etwa 65 Prozent der Beträge würden eingetrieben – in jenen Fällen, die zum Abschluss kommen. Das sind bislang die wenigsten. Denn die Banken kooperieren nicht – obwohl sie gerade mit Milliardenbeträgen von Athen und Brüssel gerettet werden.

"Gegenwärtig muss ich leider sagen, dass es keine gute Kooperation mit den Banken gibt", sagt er. "In über 5000 Fällen haben wir beantragt, die Konten von Verdächtigten einzusehen." Nur in 214 Fällen sei das gelungen. Das ergab 650 Millionen Euro an Bußgeldern.

Insbesondere in 500 Fällen, die Politiker verschiedenster Herkunft und Parteizugehörigkeit betreffen, wartet die SDOE schon seit fünf Monaten auf Auskunft. Bis zu einem Jahr könne es dauern, bis die Informationen kommen, und bis dahin sei das Geld vermutlich weg.

Normal wären Verhältnisse wie in Schweden, sagt Lekkas, wo die Behörden innerhalb einer Woche von den Banken Auskunft bekommen. "Was wir aber wirklich brauchen, sind Konten, die wir online einsehen können", sagt er. "Wir sind nicht an Spuren interessiert. Wir wollen das Geld beschlagnahmen. Dafür muss man schnell sein."

Eine bewährte Methode der Behörde ist es, Immobilienbesitz mit verfügbarem Einkommen zu vergleichen. Wo beides nicht zusammenpasst, wird Konteneinsicht beantragt. Oft geben Hinweise aus der Bevölkerung den Anstoß.

Neue Software gegen Bestechlichkeit

Das größte Problem der griechischen Steuerfahnder waren bislang freilich sie selbst – genauer: ihre eigene Bestechlichkeit. Bisher war es ein offenes Geheimnis, dass viele Steuerfahnder Geld einsteckten, das dann dem Staat fehlt.

Eine neue Software soll dem ein Ende bereiten. Das Programm heißt Elenxis und wird derzeit im Distrikt erprobt. "Mit diesem mobilen System können wir Inspektoren entsenden, die beispielsweise eine Firma vor Ort durchleuchten. Durch Elenxis können wir in der Zentrale jederzeit sehen, was der Inspektor macht. Bis September wird hoffentlich die ganze SDOE damit ausgestattet sein. Dann ist hoffentlich Schluss mit Bestechungsgeldern an Steuerfahnder, und schmutzigen Deals."

Sogar Geschäftsleute könnten das System gut finden. Nicht wenige von ihnen klagten in der Vergangenheit über regelrechte Schutzgelderpressungen durch Steuerfahnder.

Mandatsträger sind immun

Aber die Politiker, die Lekkas besonders wichtig sind, kann man bisher nur schwer zur Rechenschaft ziehen. "Mandatsträger, Abgeordnete etwa, sind immun. Wenn wir etwas entdecken, müssen wir den Fall ans Parlament weiterleiten. Ende der Geschichte." Ein Politiker, so Lekkas "regte sich darüber auf, dass wir seine Konten in Schweden eingesehen hatten."

Politischen Druck, um Ermittlungen gegen Politiker zu stoppen, will er aber nie bekommen haben, und bezeichnet die Ernennung des zuständigen Staatssekretärs im Finanzministerium Ioannis Diotis, ein früherer Staatsanwalt, als besten Beleg dafür, dass neue, weniger bestechliche Zeiten angebrochen sind.

Aber echten Rückenwind wird Lekkas erst spüren, wenn er mehr Geld und Personal für seine Behörde bekommt. "Wir müssen uns vollständig computerisieren, und wir brauchen viele neue, junge Leute, für die elektronisches Arbeiten selbstverständlich ist." Was er nicht ausspricht, schwingt dennoch mit: Junge Leute, die nicht der alten Kultur der amtlichen Bestechlichkeit entstammen.

Zum Schluss sagt noch, dass er gerne zum Wohl des Staates arbeitet, "aber wer weiß, vielleicht werde ich diesen Job in einem Monat nicht mehr haben." So ganz vertraut er offenkundig nicht auf den neuen Geist.

Nikos Lekkas
© IHT/laif Top-Steuerfahnder Nikos Lekkas

© Axel Springer AG 2012. Alle Rechte vorbehalten